14.09.2020
Was ist jetzt anders im Konsumgüterbereich?
Mobiles Arbeiten und Nachhaltigkeit im Mindset sind Konsumentenbedürfnisse, die uns auch in Zukunft begleiten werden. Die Coronakrise verstärkt die Ausprägungen dieses Verhaltens, ist aber nicht der Auslöser. ‚Veränderung musste man immer schon mögen, aber wer sie jetzt nicht wirklich liebt, hat es schwer.‘, sagt Birgit Aichinger, Geschäftsführerin Vöslauer Mineralwasser Gmbh. Die Veränderungen der Bedürfnisse auch in der Unternehmensstruktur flexibel abzubilden, ist die Aufgabe für Unternehmen in den nächsten Jahren.
Birgit Aichinger spricht am am 7./8. Oktober 2020 am Corporate Culture Jam in der Ankerbrot Fabrik in Wien. Im Sinne des Taskfarm Konzepts wurde sie von Helmut Blocher, Geschäftsführer Succus Gmbh, auf das Interview eingeladen.
Welche Schwerpunkte setzt ihr bei Vöslauer durch die Unsicherheit, die durch die Krise entstanden ist? Hat sich etwas verändert?
Birgit Aichinger: Die Krise war für uns Katalysator in jede Richtung. Massnahmen, die wir vorher gut und richtig gesetzt haben, zahlen sich jetzt doppelt aus. Verabsäumnisse oder Massnahmen, die man im Hinterkopf schon beginnen wollte und aus vielen guten Gründen nicht angegriffen hat, kommen jetzt als Antwort zurück.
Was war richtig und wo gibt es Aufholbedarf?
Birgit Aichinger: Wir haben uns beispielsweise stark mit dem Thema New Work auseinandergesetzt. Wie wir arbeiten, wo wir arbeiten – wie wir das in Zukunft tun wollen. Diesen Prozess haben wir im vergangenen Jahr intensiv durchlaufen. Wir starteten mit Gedanken zur Veränderung der Arbeitsumgebung und besserer Kommunikation. Diese Ideen sind anfänglich Raum und Ästhetik getrieben bis zu dem Punkt, an dem man herausfindet, dass New Work nicht unbedingt heißt, in ein buntes neues Büro einzuziehen, sondern viel, viel mehr.
Fragen wie: Wie schaut die Organisationsstruktur aus? Wie schaut Kommunikation aus? Wie schaut EDV aus? etc., wurden aufgeworfen und bearbeitet.
Wir arbeiteten mit M.O.O.CON, denn unser Ziel war ein neues Gebäude zu beziehen. Nebenbei gesagt unser Traumhaus, eine alte Villa in Vöslau direkt neben dem Bad.
Nachdem Planung und Umsetzung von neuen Strukturen schneller gehen, als der Umbau eines Hauses, beschlossen wir nicht zu warten, sondern alles, was wir als richtig und gut empfanden im Bestandsgebäude einzusetzen.
Niemand hat mehr einen eigenen Schreibtisch außer fünf Assistentinnen, wir stellten in der ganzen EDV die Strukturen um und entwarfen eine sehr großzügige Mobile-Work Regelung mit allen Spielregeln und Animositäten, die sich daraus ergeben. Als der Lockdown kam, war die gesamte Verwaltung und Administration innerhalb von zwei Stunden auf Remote-Modus. Sämtliche Bereiche, mit denen man sich in so einer Situation erst beschäftigen muss, wie beispielsweise ‚Wie vertrauen wir unseren Mitarbeitern?‘, ‚Auf welche Spielregeln einigen wir uns?‘, ‚Welche Technik benötigen wir?‘, war bereits vorhanden. Die einzige Veränderung war unsere Meetings in Form von Videokonferenzen abzuhalten, und zwar von null auf hundert.
Diese Umstellung hat sich echt ausgezahlt, aber ich muss ehrlich sagen, dass wir mit dem Timing einfach auch Glück hatten.
Wo gibt es Aufholbedarf?
Birgit Aichinger: Die Veränderung von Kunden- und Marktstrukturen. Dieser Bereich hatte davor auch schon eine gewisse Dynamik, aber jetzt wird diese Veränderung noch deutlicher und stärker. Ein großes Thema ist die Zwiegespaltenheit des Konsumentenverhaltens. Die gleiche Person kann sich denken ‚Oh Gott, es ist nett, dass ich in meinem Home-Office sitze und diesen ganzen Trubel nicht mehr mitmachen muss.‘. Und gleichzeitig kann sie denken: ‘Verdammt. Ich habe fünf Wochenendreisen abgesagt. Lass mich in den Flieger steigen und endlich wieder nach Barcelona fliegen.‘ Zwiespalt und auch Spontanemotionen, die immer schon vorhanden waren, treten jetzt verstärkt auf genauso wie Unlogik im Verhalten.
Was sind deine Learnings?
Birgit Aichinger: Du musst die Veränderung ohnehin immer schon gerngehabt haben, um in unseren Jobs zu arbeiten. Aber jetzt wird deutlich, dass man Veränderung und Flexibilität wirklich lieben muss, sonst wird die Arbeit zu einem gewissen Grade frustrierend.
Zusätzlich stellt sich die Frage, wie kann man diese Flexibilität in der Organisation in puncto Vertrieb, Marketing, Back-office, Supply-chain, etc. abbilden.
Welche Änderungen gibt es im Konsumentenverhalten?
Birgit Aichinger: Es gibt krisenbedingte Änderungen, beispielsweise in der Gastronomie. Im Sommer haben wir gesehen, dass die Leute aber in die Gastronomie gehen wollen. Wir wissen daher, dass Gastronomie wieder kommt, dass sie sich aber auch bereinigen wird. Die Gastronomen, die sich etwas überlegen, die werden erfolgreich sein und die, die vorher schon langweilige Konzepte hatten, werden jetzt nicht besser durch die Krise.
Aber Gastronomie bedeutet auch Seminar-, Kongress- und Eventgeschäft. Kreative Veranstaltungen, die etwas zu bieten haben, wird es weiter geben. Aber es gibt immer noch viele Seminare oder Veranstaltungen, deren Inhalte und auch Vortragende eigentlich entbehrlich sind. Diese werden weniger werden, weil Unternehmen immer weniger bereit sein werden, ihre Mitarbeiter undifferenziert quer durch den Gemüsegarten zu schicken. Dazu ist das Risiko zu hoch, die Mitarbeiter auch nicht immer begeistert und am Ende des Tages wird hier der Rotstift bei Kosteneinsparungen eingesetzt.
Hat der vermehrte Einsatz von Home-Office Einfluss auf das Konsumentenverhalten?
Birgit Aichinger: Das Thema Mobilität beschäftigt uns auf jeden Fall. Eine sehr banale Auswirkung der Digitalisierung ist, dass die Menschen ein anderes Leben führen. Sie sind mehr unterwegs, arbeiten von zu Hause, im Zug, im Park, im Ferienhaus. Das heißt für uns, dass das On-the-go-geschäft (Wie isst du? Wie trinkst du?) sich in den letzten zehn Jahren stark entwickelt hat. Den Einbruch der Mobilität, also viel weniger Leute unterwegs, viel weniger Touristen, weniger Schule, weniger Sport, weniger Ausflüge, etc. merken wir natürlich, das wird sich bis zu einem gewissen Grad zwar wieder ändern.
Aber ich glaube, wir werden uns darauf einstellen müssen, unsere Produkte für einen zukünftigen Arbeitsmarkt zuzuschneiden.
Die Mobilität grundsätzlich ist nicht aufzuhalten, ab dem Zeitpunkt, wo die Menschen hinaus können und die Freiheit haben, sich zu bewegen, werden sie es tun. Es ist nicht in unserer Natur, den ganzen Tag irgendwo festzusitzen, wenn man es nicht muss.
Ein weiterer Schwerpunkt ist der Wunsch nach Nachhaltigkeit. Unsere Mehrwegflaschen zum Beispiel, die uns sehr am Herzen liegen, sind das krisensicherste Gebinde von allen. Sie haben eine Käuferschicht, die sehr regelmäßig und nicht vordergründig preissensibel diese Produkte kauft. Hier können wir auch in der Krise Wachstum verzeichnen.
Was lässt dich nachts nicht schlafen?
Birgit Aichinger: Ich glaube, jeder, der verantwortungsvoll ist, macht sich jetzt Gedanken wie es mit der wirtschaftlichen Entwicklung im nächsten Jahr weitergeht. Aber ich habe keine schlaflosen Nächte. Essen und trinken wird nie abgeschafft. Insofern mache ich mir um unsere Branche keine Sorgen.
Welche Jobs werdet ihr in Zukunft brauchen, die heute noch keinen Namen haben?
Birgit Aichinger: Die Vergabe von Jobtitels ist für uns generell nicht einfach, sie ist oft pragmatisch, denn sonst würden wir Titel brauchen, die über 3 Zeilen gehen. Bei Konsumartikeln, wie unseren, geht es in allererster Linie darum zu verstehen, wie der Konsument tickt. Was tut er, wenn er in der Früh aufsteht? Was machte er unter tags? Wie verändern sich ganz banale Konsumgelegenheiten, aber natürlich auch seine Bedürfnisse und seine Werte?
Diese Ansprüche versuchen wir auf verschiedene Art abzudecken. Wir denken nicht in starren Bahnen, sondern haben viele Mitarbeiter, die querdenken.
Wir beschäftigen uns damit das Konsumentenbedürfnis im Marketing, in der Innovation, Produktentwicklung und durch die Marktforschung abzudecken. Wichtig ist für uns, dass auch der Verkauf in dieselbe Richtung wie wir denkt, denn sonst können sie den Kunden nicht beraten. Der Wissenstransfer zu den Einkäufern oder zu unseren Ansprechpartnern ist für uns immer ein Thema. Das Wissen ist in der Organisation vorhanden. Nur, der Einkäufer oder die Person, die eigentlich Sortimentsentscheidungen, ganz gravierende Platzierungsentscheidungen oder Preisentscheidungen trifft, hat davon oft keine Ahnung. Wir müssen das Wissen, das wir in unserer Organisation haben, so aufbereiten, dass es in ganz praktischen Handlungsempfehlungen beim Kunden endet. Er diese übernehmen kann, aber sie vor allem auch mit seiner Strategie kompatibel sind, die oft ja nicht 100 % mit unserer übereinstimmt.
Es ist die Kunst viel vom Kunden wissen und zu verstehen, wie der Kunde tickt und ebenso viel vom Konsumenten und vom Markt zu wissen. Dieses Wissen in der richtigen Schlagkraft zu übersetzen gelingt uns manchmal und das ist eigentlich der Schlüssel zum Erfolg. Wie wir das in Zukunft in der Struktur abbilden, das weiß ich noch nicht genau. Umso größer die Organisation wird, umso komplexer die Kunden und das Sortiment werden, umso schwieriger wird es, immer alles richtigzumachen. Falls es dafür eine Ausbildung an der Uni gibt, sind wir an Absolventen auf jeden Fall interessiert.
About: Mag. Birgit Aichinger ist seit 2018 Geschäftsführerin der Vöslauer Mineralwasser GmbH, brennt für die Entwicklung von Strategien, alltagstaugliche wie nachhaltige Lösungen, gutes Design und die Verbindung von Altem und Neuem.
Sie denkt und agiert vorausschauend, vermarktet mit ihrem Team reines Mineralwasser, auf der permanenten Suche nach Erneuerung in einer sehr beständigen Branche, in der sie seit beinahe zwanzig Jahren tätig ist.
Gemeinsam zeigt man Mut, setzt auf Kooperationen und Nachhaltigkeit, schätzt Know-how und ist offen für Neues, das die Welt zumindest ein bisschen besser macht.
Die Mission ‚Die Quelle ist unser Ursprung, wir schaffen Wohlbefinden und löschen den Durst der Zeit.‘ und das zentrale Thema #jung bleiben werden nach außen getragen, wie nach innen. Von nachhaltigen Produktinnovationen über die Kommunikation bis zur Art, wie gearbeitet wird.
Was ihr privat wichtig ist? Familie (Mann/ Kind/ Pudel), Reisen, Sport und stetige Weiterentwicklung.
Was sie nicht mag? Kleinlichkeit, Neid, Stillstand und Linsen mit Speck.
Hier geht es zum Interview auf taskfarm.
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