28.08.2020
Wenn das Geschäftsmodell eine Frage des Gewissens ist
2 Mal in der Woche ist genug‘ – ein Fleischproduzent wirbt für mässigen Genuß. So kann man sich leisten auf die Herkunft und Qualität des Fleisches zu schauen, erklärt Hermann Neuburger, Geschäftsführer Neuburger, seinen ungewöhnlichen Ansatz. Doch auch dieser Aufruf war Neuburger noch nicht genug. Als Unternehmen wurde das erfolgreiche Geschäftsmodell hinterfragt. Der Grund ist kein wirtschaftlicher, sondern eine Frage des Gewissens. Daher hat man sich bereits vor 15 Jahren dazu entschlossen, die Produktpalette von reinen Fleischprodukten um eine komplett vegetarische Produktlinie zu erweitern. So ein Schritt muss wohlüberlegt sein und von dem ganzen Unternehmen getragen werden. Wichtigste Grundvoraussetzung dazu ist eine ausgeprägte Kommunikationskultur im Unternehmen. Die Ereignisse der letzten Monate und die Auswirkungen der Pandemie sind bisher bei Neuburger noch nicht zu spüren.
Hermann Neuburger spricht am Corporate Culture Jam am 7./8. Okt. 2020 in der Ankerbrot Fabrik in Wien. Im Sinne des Taskfarm Konzepts wurde er von Helmut Blocher, Geschäftsführer Succus Gmbh, auf das Interview eingeladen.
Gibt es ein Umdenken in ihrer Unternehmensstrategie durch die Corona-Pandemie?
Hermann Neuburger: Unsere Strategie hat sich nicht verändert, sondern eher bestärkt. Wir sind ja ohnehin schon im Kopf 15 Jahre in die Zukunft unterwegs indem wir unser erfolgreiches Geschäftsmodell von Neuburger hinterfragen und die Seite gewechselt haben.
Welche Auswirkungen hat die Corona Pandemie auf ihre Unternehmenssparte?
Hermann Neuburger: Wir sind grundsätzlich als Lebensmittelindustrie von der Corona Pandemie nicht so stark betroffen, denn wir durften weiterarbeiten. Derzeit hat sich durch die Pandemie noch nicht sehr viel verändert. Die Auswirkungen werden sichtbar werden, wenn die Staatshilfen auslaufen, die Konjunktur noch weiter zurückgeht und es mehr Arbeitslose geben wird. Die Leute werden mehr auf den Preis schauen. Die deutschen Händler bereiten sich schon darauf vor. Aldi und Lidl senken die Preise. Das ist eigentlich keine gute Entwicklung. Nachdem wir noch nie vor so einer Situation gestanden sind, kann eigentlich niemand sagen, wie es weitergeht.
Aber das Rad dreht sich im Industrieländerbereich weiter und wurde durch die Pandemie zusätzlich angestoßen. Die Menschen sind langsam bereit mehr Verantwortung zu übernehmen, mehr zu hinterfragen und Änderungen im Leben schneller zu übernehmen.
Das ist unsere Hoffnung, aber auch unsere realistische Einschätzung.
Sie haben sich vor 15 Jahren entschieden, als Fleischproduzent auch fleischlose Produkte anzubieten? Wie kam es zu dieser Ausrichtung?
Hermann Neuburger: Der Grund ist kein wirtschaftlicher, sondern eine Frage des Gewissens. Als Sohn einer Fleischerfamilie beschäftige ich mich seit 50 Jahren mit dem Thema Fleisch. Ich habe schon länger Probleme mit dem hohen Fleischkonsum. Wir haben seit mehreren Jahren bei Neuburger einen Werbespruch, der heißt 2x die Woche ist genug. Ich freue mich schon auf ein Stückerl Fleisch, aber bei weniger Fleischkonsum kann man sich leisten auf die Herkunft des Fleisches zu achten. Bewusst zu hinterfragen, wie das Tier aufgewachsen ist und wie es den Bauern geht. Daher haben wir uns bereits vor Jahren dazu entschlossen, unsere Strategie von reinen Fleischprodukten zu vegetarischen Produkten zu erweitern.
Sind Sie persönlich zum Vegetarier geworden?
Hermann Neuburger: Nein. Wir haben zwar eine zweite Produktlinie eröffnet, aber wir sind ja nicht grundsätzlich gegen Fleisch. Ich persönlich bin auch nicht zum reinen Vegetarier geworden. Wichtig ist, wie oft man Fleisch ist.
Der Fleischkonsum war ja früher anders.
Hermann Neuburger: Richtig, und darauf nehme ich immer Bezug, wenn ich meine Geschichte erzähle. Ich habe 1970 die Fleischerlehre bei meinem Vater begonnen und da hat man vielleicht zweimal in der Woche Fleisch gegessen. Mit dieser Art des Fleischkonsums schaffen wir zu mindestens in Mitteleuropa eine wirtschaftliche und ökologische Balance. Das Problem ist die Menge.
Wie funktionieren die beiden Produktlinien in der Vermarktung?
Hermann Neuburger: Bei der Frage Fleisch oder nicht Fleisch steigen die Leute nicht gerne in die Diskussion ein, weil sie die Sorge haben, dass sie die Veränderung nicht bewältigen können. Daher wird oft die Diskussion verweigert.
Inwiefern kann man die Veränderung nicht bewältigen?
Hermann Neuburger: Die meisten Menschen haben im Kopf eine kleine Kammer, in der sich alle Dinge befinden, von denen man weiß, dass man sie verändern soll. Man sollte weniger Fleisch essen, man soll sich mehr bewegen und vieles andere mehr. Diese Kammer hat eine Türe und diese ist verschlossen. Wenn wir mit dem Angebot von vegetarischen Produkten kommen, dann klopfen wir an diese Türe. Viele sagen ‘Um Himmels willen, diese Türe machen wir nicht auf, die können wir nie wieder schließen!’. Sie haben Angst mit einer Veränderung zu beginnen, die dann weitgehendere Auswirkungen hat und sie dazu bringt neben dem Essverhalten auch andere Dinge zu ändern. Das ist unbequem, dadurch wird die Kommunikation einfach verweigert.
Wie verkaufen Sie dann aber ihre vegetarischen Produkte?
Hermann Neuburger: Wir präsentieren das neue Würstel aus dem Mühlviertel. Das ist spannend, hier wird freudig zugegriffen. Das Geschmackserlebnis überzeugt, die Aufklärung kommt nachher. Wenn wir ein ‚Würstel ohne Fleisch‘ verkaufen und dabei bewusst auch die Fleischesser ansprechen, flüchten sie. Das kann man manchmal sogar körperlich erkennen. Das ist eine große Thematik, mit der wir uns beschäftigen und die wir auch knacken müssen, damit wir auch genau dort unser Angebot kommunizieren können.
Wie kommunizieren sie in Ihrem Unternehmen?
Hermann Neuburger: Wir versuchen offen zu kommunizieren und die Leute aufzuklären. Eine Vorgabe von oben zu machen, ist einfach zu wenig. Um das beste Ergebnis zu erzielen, muss es zu einer wechselweisen Kommunikation kommen. Das bedeutet, dass ich weitgehend zum Moderator werde. Dadurch kommt es natürlich manchmal zu einem anderen Ergebnis, als man selber im Kopf hatte und es ist aufwändiger und braucht mehr Zeit. Wenn aber die Menschen der Meinung sind, dass sie selbst entschieden haben, was ja auch tatsächlich der Fall ist, dann wird diese Entscheidung automatisch mitgetragen und ich muss mit der Exekution nicht dahinter sein. Darüber hinaus werden aus neuen Initiativen sogar bessere Lösungen gefunden.
Sind die Produktlinien im Unternehmen getrennt?
Hermann Neuburger: Marketing, Sales und die Geschäftsführung arbeiten an beiden Projekten. Die Produktion ist heute schon getrennt. Wir haben beide Produktlinien immer gemeinsam diskutiert. Anstoß war mein Bestreben aus dem Dilemma herauszukommen, das dadurch entstanden ist, dass Fleisch so ein problematischer Rohstoff geworden ist. Ich hatte immer mehr das Gefühl mitverantwortlich zu sein und mit guten Fleischprodukten sogar zu noch mehrt Fleischkonsum zu verführen. Daher war es für mich wichtig, das Unternehmen in eine neue Richtung zu führen. Aber von diesem Punkt an war es der Beginn einer gemeinsamen Diskussion.
Wie haben Sie die Mitarbeiter in der Produktion eingeteilt?
Hermann Neuburger: Das können die Mitarbeiter entscheiden. Nicht nur in welchen Bereichen sie arbeiten wollen – also Fleisch oder fleischlos – sondern es gibt in den einzelnen Unternehmen Jobteilung. Wir haben kein Akkordsystem und auch keine Serienproduktion, in dem Sinn, dass die Mitarbeiter immer den gleichen Arbeitsplatz bedienen, sie wechseln ihre Arbeit. Es gibt aber auch Fälle wo selbst gewählt wird, an einem Platz zu bleiben. Wir stellen das den Leuten frei, weil wir immer sagen, nur das was ein Mensch gerne tut, das macht er auch gut.
Was lässt Sie nachts nicht schlafen?
Hermann Neuburger: Das einzige, das mich nicht schlafen lässt, aber das sehe ich nicht negativ, ist, wenn mir etwas einfällt. Deshalb habe ich immer etwas zu schreiben bei meinem Nachtkasterl. Denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass Einfälle oft am nächsten Tag nicht mehr da sind. Ich bin jetzt schon sehr lange im Geschäft und habe viele Höhen und Tiefen erlebt. Mittlerweile habe ich Techniken entwickelt, die helfen, dass mir nichts mehr den Schlaf rauben kann. Man muss das Gleichgewicht finden, einerseits mit der richtigen Leidenschaft dabei zu sein, aber auch Resilienz zu entwickeln und sich emotional abzugrenzen.
Welche Jobs werden in Zukunft benötigt werden, die heute noch keinen Namen haben?
Hermann Neuburger: Im Bereich Digitalisierung besteht ein großer Bedarf, aber auch im Bereich Lebensberatung gibt es vor allem jetzt Nachfrage. Hier sehe ich vor allem eine Chance. In der Schule werden Jahreszahlen auswendig gelernt, es wäre aber auch wichtig zu lernen wie man miteinander kommuniziert und mit Konflikten umgeht.
About:
Hermann Neuburger (* 23.5.1952 in Ulrichsberg) übernahm 1986 die Fleischerei in Ulrichsberg von seinem Vater und konzentrierte sich bald nur noch auf ein Produkt – und das mit großem Erfolg: den Neuburger. Der Umgang mit den Tieren und die Entwicklungen in der Fleischwarenproduktion haben Hermann Neuburger jedoch schon vor einigen Jahren zum Nach- bzw. zum Umdenken gebracht. Statt sich auf dem Erfolg von Neuburger auszuruhen, wagte Hermann Neuburger den Schritt ins Unbekannte: Eine intensive Zeit der Forschungs- und Entwicklungsarbeit begann, mit dem Ziel eine gesunde Alternative zu Fleischspeisen zu entwickeln, um die Ernährungsgewohnheiten der Menschen nachhaltig zu beeinflussen. 2016 brachte Hermann Neuburger gemeinsam mit seinem Sohn Thomas ihr Herzensprojekt auf den Markt: die vegetarische Linie HERMANN.
Hier geht es zum Interview auf taskfarm.
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